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Lange Schatten über Ground Zero

Auszug aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 12./13. Juli 2008 Nr. 161 – als Ergänzung zum Blogbeitrag Verpasste Chance… vom 3. Oktober 2007

Gerichtsfälle, Geldsorgen, Sicherheitsbedenken, Korruption und Betrug verhindern den Wiederaufbau von Ground Zero, der immer teurer wird und umstritten bleibt. Mit der Verzögerung wächst unter den New Yorkern die Verunsicherung.

rte. New York, 11. Juli
Wie ein riesiger Vogel hätte an Sommertagen der Bahn- und Busbahnhof auf der Südspitze Manhattans seine Dachflügel geöffnet. Unter freiem Himmel wären die New Yorker zur Bahn spaziert und hätten einen Blick hoch zum Freedom Tower geworfen. So mag sich der Stararchitekt Santiago Calatrava die Bahnstation vorgestellt haben, als er seine Pläne einreichte. Doch dem Stahlvogel werden die Flügel gestutzt: Das Dach, gibt die zuständige Stadtbehörde Port Authority bekannt, werde aus Kostengründen nicht geöffnet werden können. Auch weitere Kürzungen an Calatravas Projekt seien notwendig.

Unrealistische Voraussagen
Der Spanier ist nicht der Einzige, dessen Vision für Ground Zero beschnitten wird. Berufskollege Libeskind, der mit seinem Modell für den Freedom Tower 2002 den Zuschlag bekam, hat sich zurückgezogen. Als Architekt des «traurigen weissen Elefanten», wie der noch nicht gebaute Wolkenkratzer schon genannt wird, zeichnet heute David Childs. Michael Arad, Entwerfer des Denkmals, das an die Opfer der Terrorattacken erinnern soll, ist unterdessen mit Kollegen und Behörden zerstritten. Bürgermeister Bloomberg kündigte kostensenkende Vereinfachungen an.
Die Stararchitekten müssen die Änderungen hinnehmen – zu viele Agenturen, Aufsichtsbehörden, Sicherheitsinspektoren und Geldgeber mischen mit. Vorwürfe macht jeder jedem. Der ehemalige Gouverneur Pataki seinem Nachfolger, dem nach einem Sexskandal vom Thron gestossenen Spitzer. Und der heutige Gouverneur Patterson seinen beiden Vorläufern. In einer «Neueinschätzung» des Bauvorhabens kommen Pattersons Leute zu einem ernüchternden Fazit. Die bisherigen Voraussagen zur Fertigstellung der Projekte seien unrealistisch, Geld sei verschwendet worden, Vorfälle von Betrug und Bestechung bekannt, heisst es im Bericht.
Mit der Verzögerung wächst unter den New Yorkern die Verunsicherung. Was wann fertig werden soll, getraut sich keiner mehr zu sagen. Eine pessimistische Prophezeiung macht der von Gerichtsurteilen gebeutelte Pächter der Parzellen, Larry Silverstein: Bis zum 10. Jahrestag der Anschläge würden weder das Denkmal noch einer der fünf Bürotürme stehen. Er gibt sich aber überzeugt, dass das Werk noch vor seinem Tod vollendet sein wird – Silverstein ist 76 Jahre alt.

Kritik an der Port Authority
Nur 18 Monate dauerte in den 30er Jahren der Bau des Empire State Building, doch auf Ground Zero geht es trotz Hightech kaum voran. Sieben Jahre nach 9/11 hat die Skyline im Süden Manhattans noch keinen eindrücklichen Ersatz für die verlorenen Türme des World Trade Centers. Dabei war der Wiederaufbau als entschlossene Antwort auf die brutale Terrorattacke verkauft worden. Nun ermahnt die klaffende Lücke an die Unsicherheit, die sich in den Alltag der Metropole geschlichen hat.
Dass eine Attacke wie an jenem Morgen im Spätsommer wieder geschehen könnte, bezweifelt in der Stadt kaum jemand. An den öffentlich zugänglichen Town Hall Meetings, an denen die Bevölkerung zu Wort kommt, zeigt sich der Unmut über die fehlenden Fortschritte ebenso deutlich wie die Leidenschaft, mit der die eigene Meinung vertreten wird. Die Sitzungen ziehen sich in die Länge. Klar ist am Ende bloss, dass mit jeder Antwort neue Fragen aufgeworfen werden. Der heftigsten Kritik ist die Port Authority ausgesetzt, die für die Verkehrswege verantwortlich ist – solange die U-Bahn-Bauten nicht fertig sind, kann darüber kein Hochhaus entstehen.Das weiss auch Chris Ward, seit knapp fünfzig Tagen Zuständigerder Port Authority, einer bisher ungelenken bürokratischen Behörde der Teilstaaten New Yorkund New Jersey. Dass das Vorhaben unter seiner Regie schneller voranschreiten wird, verspricht er allerdings nicht: Im Moment seien mindestens 15 «fundamentale Probleme», die sich auf das Gesamtprojekt auswirken würden, noch nicht gelöst.

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